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Warum ist Chile nicht bei der Weltmeisterschaft 2002 dabei? Das kann verschiedene Gründe haben:

Weil wir Chilenen nunmal so sind, siehst Du, manchmal ja und manchmal nein. Wir schlagen einen beieindruckenden Zickhzackkurs ein und drehen die großartigsten Piruetten, aber immer nur auf den Zweigen, ohne je den Wipfel zu erreichen, oder gar den Stamm zu berühren.

Weil es uns nicht gefällt, Tore auf dem Fußballfeld zu schießen, obwohl wir unser Leben damit verbringen, Tore zu schießen: dem Nachbarn, den Verwandten, den Freunden und der Tochter des Fleischers. Zamorano ist eine Ausnahme, ein hoch und sicher fliegender Helicopter, aber wir, der Rest der Chilenen verstehen uns mehr auf den Tiefflug. Salas hingegen ist der Stereotyp des Chilenen, manchmal ja und manchmal nein. Manchmal ist er voll auf der Höhe der Argeninier, aber es gefällt ihm eben immer wieder in die fatalistische Tradition und den hypochondrischen chilenischen Charakter einzutauchen, deshalb verbringt er die meiste Zeit angeschlagen und auf der Reservebank.

Die chilenischen Torwarte konnten nie das Trauma überwinden, das der „Sapo“ Sergio Livingston in den 60ern verbreitete. Sie gaben sich damit zufrieden, das Unüberwindbare zu akzeptieren und so entwickelten sie selbstkasteiende Tricks, bei denen sogar ein Messer in die Geschichte einging.

Weil die Schiedsrichter uns Chilenen ganz offensichtlich nicht ausstehen können. Sie haben uns auf dem Kieker, sie denken sich für uns Elfmeter aus, stehlen uns Tore, verweisen unsere Spieler vom Platz, reklamieren Abseits obwohl doch alle auf dem Spielfeld sind und stacheln die Fans so sehr auf, dass diese Flaschen und Leuchtkörper vor allem auf klatzköpfige Schiedsrichter werfen, von denen es, wer weiß warum, gerade im Fußball besonders viele gibt, ganz im Stil jener traurigen Figur, die wir Chilenen nie vergessen werden, Lucien Bouchardeau, der bei der Weltmeisterschaft 1998 einen Elfmeter zu Gunsten von Italien erfand und der heute wegen Amtsmißbrauch und Bestechlichkeit unter Anklage steht.

Weil Chile wegen seiner Neigung zu falscher Bescheidenheit gegenüber seinen Nachbarn, auf das niedrigste Niveau der südamarikanischen Fußballkategorie abstieg, damit sie uns nicht verdächtigen, die neuen Argentinier Südamerikas sein zu wollen, hochnäsig, extrovertiert und arrogant. Es reicht ja schon, dass man uns für „den Tiger“ der Ökonomie, das am wenigsten korrupte Land, die stabilste Demokratie, das vertrauenswürdigste Land für ausländische Investitionen, das schönste, längste und schmalste Land auf dem Planeten hält. Wären wir überdies noch die besten Torjäger und im Fußball unbezwingbar, so wäre das geradezu unerträglich. Soviel Lorbeeren sind schlecht für die Selbsteinschätzung. Schon möglich, dass wir überheblich geworden wären und am Ende noch von unseren Nachbarn, die in allem außer im Fußball vom Pech verfolgt sind, beneidet und gehasst werden.

Aber all das muß man nicht unbedingt für bare Münze halten. Der wahre Chilene hält immer noch etwas unterm Poncho versteckt. Möglich, dass dies alles nur eine raffinierte Taktik ist, ausgearbeitet von den klügsten Köpfen des nationalen Fußballs.

Weil es uns so sehr auch wieder nicht interessiert hat, so weit wegzufahren, um in jenen etwas seltsamen Ländern voller kleiner, gelber, schlitzäugiger Leute zu spielen. Wir bereiten uns lieber für eine richtige Weltmeisterschaft im weißen, hoffentlich blonden und blauäugigen Europa vor. Da, bei der Rückkehr in das Land unserer europäischen Vorfahren, könnten wir uns wirklich stolz fühlen. Zum Glück hatte Südafrikas Kandidatur als Platz für die Austragung der Weltmeisterschaft keinen Erfolg, sonst hätten wir Chilenen uns gezwungen gefühlt, uns mit Eigentoren und Torwächtern zu überziehen, die von wundersamen, aus dem Ärmel gezogenen Messern lediert werden, nur um der Schande zu entgehen, unter „negritos“ zu spielen. Vergessen wir nicht, dass es im chilenischen Fußball keinen einzigen Spieler mit einem indianischen Nachnamen gibt und dass wir zwar gegen die „cholitos“ (Mischling indianischer und europäischer Herkunft) aus Peru verlieren können, dass die Peruaner aber weder im Fußball noch in der Mentalität des gemeinen Chilenen akzeptiert werden. Chile hätte es gefallen, ehrenvoll gegen die Großen zu verlieren, aber es hatte das Pech, unehrenhaft gegen die Kleinen zu verlieren.

Weil der chilenische Fußball besser zu Zeiten der Diktatur funktionierte. Während die Generäle ihre wehrlosen Gegner mit Kugelschüssen traktierten, schoß das Volk, vor allem die Jugend, auf Straßen und Plätzen hart mit Bällen gegen Tore, als Therapie gegen den Verdruß und um den Geruch nach Leichen zu vergessen. Nun, wo die Generäle in die Kasernen zurück sind und wir die Tiger der Ökonomie und Demokratie, haben wir verlernt zu kicken und der beliebteste Sport wird einmal wöchentlich zelebriert: der Familienausflug in die großen Supermärkte und Shopping-Center. Es fehlt nicht viel, damit das Volk vom Schrei „Goool!“ (Tooor!) zum Schrei „Moooll“ (Name einer großen, luxuriösen Shopping-Center-Kette in Chile) wechselt, womit wir zwar in keiner Weltmeisterschaft vertreten, aber mit jedem mal globalisierter und moderner und deshalb immer mehr in aller Munde wären. Also, wozu noch die Weltmeisterschaft?