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AM DEUTSCHEN BESEN...

Dass es Probleme mit den Nachbarn geben könnte, weil ich meine Lieder übte, war in Chile völlig undenkbar. Ganz im Gegenteil. Oft kamen sie zu mir, manche mit einer Flasche Wein unterm Arm und baten um Erlaubnis, zuhören zu können. Eine Nachbarin schenkte mir sogar ein quicklebendiges, gackerndes Huhn. So luden sie sich bei mehr als einer Gelegenheit selbst ein und meine Proben verwandelten sich unversehens in ein Ereignis und in die Feier guter Nachbarschaft.

Die Erfahrungen mit meinen Nachbarn in Deutschland sind da ganz anders. Zumindest zu Zeiten, in denen ich übe. In meiner ersten Wohnung in Kiel hatte ich einen Nachbarn, der meine Übungszeiten auch in einem Ereignis enden ließ, etwas skandalöser, das wohl, auch weniger angenehm. Und das kam so: Jedesmal, wenn ich Gitarre spielte und sang, vernahm ich harte Schläge an der Decke über mir. Ein wenig naiv ging ich davon aus, dass mein Nachbar am Renovieren war. Vielleicht auch gehörte das zu seinem Beruf und überdies hatte ich mich bereits an die Vorliebe der Deutschen für's Löcher reißen und wieder schließen gewöhnt. Aber das klang nach schweren Hammerschlägen, wieder und wieder und immer wie ein Begleitrhythmus zu meinen Proben. Bis ich, bereits leicht entnervt, meine Lebensgefährtin darauf ansprach: „Meinst Du, unser Nachbar wird irgendwann einmal mit dem Behämmern und Durchlöchern seiner Wohnung fertig sein?“ Worauf Elvira sich entschloss, mich über die Wahrheit und die Zusammenhänge zwischen meiner Gitarre und dem, was ich bis dato für einen Hammer hielt, aufzuklären: „Unser Nachbar macht keine Löcher. Das ist kein Hammer! Das ist ein Besenstiel. Er stößt damit gegen seinen Fußboden um dir deutlich zu machen, dass ihn deine Musik stört.!“ Erst war ich wie vom Schlag gerührt! Dann aber fragte ich mit der Treuherzigkeit eines Drittweltlers verdutzt: „Warum kommt er nicht vorbei und sagt mir in aller Ruhe, was ihn stört?“ „Seit einem halben Jahr wohnen wir jetzt hier und dieser Mann hat dich nicht einmal gegrüßt, wenn er dich im Treppenhaus traf, und du erwartest im Ernst, dass er an deiner Tür klingelt?“

Mit dieser klaren Bestandsaufnahme mußte ich mich zufrieden geben. Beruhigt hat sie mich nicht. Bis wir eines Nachts, als Morpheus sich bereits unserer Sinne und unseres Körpers bemächtigt hatte, äußerst unsanft von donnernden Schlägen gegen unsere Wohnungstür und von Schreien und Beschimpfungen geweckt wurden, von denen ich nur die Wortfetzen „Krach“, „Ausländer“ und „raus“ aufschnappen konnte. Schlaftrunken wankte ich in den Flur, just in dem Moment, als dort ein Fuß, bekleidet mit einem Schuh der Größe 44, mit all seiner Durchschlagskraft gerade ein Loch ins Holz unserer Wohnungstür stieß und dort steckenblieb. Mit einem Ruck öffnete ich die Tür und sah vor mir meinem Nachbarn, wie er gerade mit seinen 1,90 Metern und seiner ganzen Körperfülle ob meiner abrupten Aktion rücklings auf dem Boden des Hausflurs aufschlug. Augenblicklich drang ein Dunst von Biergestank in unsere Wohnung, der keinen Zweifel an seinem Zustand ließ. Einen Teil des Fußes noch immer in der Tür eingekeilt, versuchte er sich aufzurappeln und mich zwischendurch mit seinen Fäusten zu treffen, während er eine Unmenge Flüche ausstieß, die ich damals noch nicht verstand. Ich nutzte schnell den Umstand, dass sich sein Fuß noch nicht völlig befreit hatte, um in die Küche zu eilen und mich mit einem Besen zu bewaffnen. Mit dem Stiel stieß ich zuerst gegen meines Nachbarn Fuß, bis der sich aus dem Loch befreit hatte und mit Stockstößen veranlaßte ich den Volltrunkenen, sich auf allen Vieren die Treppe bis zu seiner Wohnungstür im nächsten Stockwerk zu bewegen, wo ich ihn den Armen seiner Ehefrau übergab, die ihn mit geradezu verblüffender Natürlichkeit empfing.

Seit diesem Tag kommunizierten mein Nachbar und ich im Treppenhaus mit einem trockenen „Moin“ und niemals mehr musste ich jenen typisch deutschen Begleitrhythmus zu meinen Liedern ertragen. Ich bin geneigt zu glauben, dass das auch dem Umstand zu verdanken ist, dass ich mich schweren Herzens entschlossen hatte, die Tradition der deutschen Mittags- und Nachtruhe zu respektieren und der Muse nur noch zu bestimmten Zeiten zu erlauben, mich zu küssen.