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GANZ UNTEN

Der Keller ist in Deutschland notgedrungen das Depot des Familieneigentums. Hier stapeln sich die Fahrräder, Bücher, Dokumente, Möbel, Garten- und Küchengeräte, Geschirr und Sonstiges. Aber ich habe auch deutsche Freunde, die ihren Keller sozusagen in einen Ort des spirituellen Rückzugs verwandelt haben.

Im Keller meines Freundes Klaus beispielsweise, kann man sich ruhig und entspannt auf einem Sofa niederlassen, die Musik hören, die einem gefällt, das geringste Ereignis mit reichlichen Litern Bier feiern oder das Spiel Eintracht Frankfurt gegen Bayern München verfolgen. Natürlich ist dort mein Freund mitunter auch bis in die frühen Morgenstunden damit beschäftigt, Pornos zu sehen oder Nummern mit intimen Kontakten zu wählen. So manche häusliche Frustration nicht weniger deutscher Ehemänner dürfte ihre Ausflucht oder auch Trost im Keller finden.

In Chile sind Keller eine Seltenheit. Es gibt sie allenfalls noch in einigen wenigen alten Gebäuden Santiagos oder anderer Städte, sofern sie die schweren Schäden der Erdbeben, die das Land erschütterten, überstanden haben. In ihren besten Zeiten bargen sie Weine und Kartoffeln, manchmal auch Reisekisten von Seeleuten und Erinnerungsstücke emigrierter Ahnen. In ihren düstersten Zeiten dienten sie als Orte der Gefangenschaft, Folter, Vergewaltigung oder auch als Orte für die Zusammenkünfte des Geheimdienstes der Pinochet-Diktatur zwischen 1973 und 1989.

Ich erinnere mich an den Keller eines Onkels in der Stadt meiner Kindheit, Concepción, in dem ich zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, die Schönheit des menschlichen Körpers, vor allen Dingen des weiblichen, zu erforschen. Das Spiel entwickelte sich zwischen meinen Brüdern Alfredo, Alejandro, meiner Schwester María Elena, mir und drei reizenden Cousinen. Es bestand im hypothetischen Besuch eines Museums der Naturwissenschaften und Archäologie. Meine Schwester und die drei Cousinen übernahmen abwechselnd den Dienst an der Pforte und rissen die Eintrittskarten ab. Also hatten Alfredo, Alejandro und ich den entsprechenden Eintritt zu zahlen, um danach als sachkundige, archäologisch vorgebildete Besucher durch die verschiedenen Hallen zu wandeln, wo wir Kleiderschränke aus der Kolonialzeit, die Sarkophage öffneten, um unsere Cousinen, die zum Teil in recht bereitwilligen Positionen die „momias“ (dtsch. Mumien) mimten, in ihrer ganzen natürlichen Nacktheit ausgiebig zu studieren.

So lernten meine Brüder und ich, nicht ohne eine gehörige Portion Neid, die Proportionen und Qualitäten des anderen Geschlechts kennen, sie zu bewundern und zu respektieren. Als wir dann größer waren, gingen die „momias“ mit den „momios“ (momio = Ausdruck für die politische Rechte in Chile, die Allende bekämpfte) und wir verloren den Kontakt, nicht aber Bewunderung, Respekt und Zuneigung.

Es dürfte wohl unmöglich sein, heute in deutschen Kellern solche Mumien zu finden, erstens, weil sie schwerlich noch Geheimnisse zu enthüllen hätten und zweitens, weil inzwischen die Keller von der Habgier moderner Zeiten vereinnahmt wurden. In einigen wiederum bedient man sich zur Befriedigung der Neugier anstelle alter Kleiderschränke nun einer Fernbedienung, um wie ein Zombie vor einer Pornoszene hängen zu bleiben.

Für mich bleibt der Keller sowohl in Chile als auch in Deutschland ein Museum, nicht notwendigerweise gleich jenem mit seinen ganz besonderen Mumien, sondern vielmehr eines, das ein Aufbewahrungsort von Gegenständen mit Geschichte ist. Das wertvollste Stück, das mein Keller beherbergt, ist eine Nähmaschine mit Handrad von Isaac Merrit Singer aus dem Jahre 1870 mit Ornamenten kleiner Blümchen, Inkrustationen aus Stein. Ich fand sie in einem aus dem Leim gegangenen Holzkoffer in der Nordweststadt, in Frankfurt, natürlich auf dem Sperrmüll.